Erzählungen

  • Stonecrusher

    Mein Name ist Nneka. Ich bin 16 Jahre alt. Ich bin Stone-Crusher. Wenn du in Sambia von Lusaka nach Harare fährst, wirst du mich sehen. Du musst bei meinem Steinhügel halten und Schotter kaufen. Es ist der Beste; ich habe ihn selbst kleingeschlagen.

    Um ihn herzustellen schleppen Männer Felsbrocken zum Straßenrand. Einer hebt seinen Vorschlaghammer und lässt ihn runterkrachen. Es dröhnt in meinen Ohren, Steinsplitter sausen durch die Luft. Dann schlägt der andere zu. „Bäng!“. „Dong!“. „Bäng!“. „Dong!“, hallt es meilenweit. Wir Frauen suchen Schutz im Schatten einer Akazie. Die Erde bebt unter der Wucht der Schläge, wir fühlen es unter den Fußsohlen. Wenn die Schläge aufhören, sind wir dran. Wir klauben die zerborstenen Felsstücke zusammen und holen unsere Hämmer heraus. „Bing!“. „Blink!“. „Bing“! „Blink!“. Aus den Brocken wird Schotter. Den rechen wir zu Hügeln zusammen. Direkt neben der Fahrbahn, einer neben dem anderen.

    Früher haben wir in der Nähe eines Flusses gelebt. Wir Kinder spielten Verstecken im Maisfeld. Wir aßen gebratene Kassava-Scheiben. Yamsbrei gab uns Kraft. Die Bananen schmeckten süß wie Honig. Am Abend stürzten wir ins Wasser. Manchmal kamen auch Kühe dazu. Sie brüllten wohlig, wir Kinder quietschten und spritzten uns nass. Die Sonne brach sich in der Gischt; die Tropfen wurden zu bunten Perlen. Wir sprangen ihnen hinterher und versuchten sie zu fangen. Ein ums andere Mal klatschten wir in die Fluten.

    Aber dann wurde der Fluss trocken. Der Boden bekam Risse; es sah aus, als ob tausend Tontöpfe heruntergefallen wären. Wenn man auf die Tonscherben trat, zerstieben sie zu Staub. Die Maisstauden wollten nicht mehr recht wachsen. Winzige Kolben hingen traurig herab, die Blätter raschelten im Wind. Ziegen und Kühe wurden immer dünner, die Haut spannte über ihren Rippen. Ihre Augen wurden trüb.

    „Wir gehen weg!“, sagte Dad eines Tages zu mir.

    „Wohin gehen wir?“, fragte ich.

    „Zur Straße“, meinte er.

    Dort leben wir jetzt in zusammengepfriemelten Hütten. Ein paar Äste, Dung, Papier und verwehte Plastikfolien. Die Sonne fällt durch die Ritzen. Am Tag sind die Lichttupfer auf dem Boden. Am Abend klettern sie die Wände empor.

    Jetzt sitze ich an der Straße. Am Horizont taucht der Schemen eines Lasters taucht auf. Ich springe auf und winke. „Hier! Hier!“, schreie ich. Bestimmt ist es einer vom Straßenbau, die brauchen Schotter für die neuen Straßen. Ich renne neben ihm her, brülle und winke. Aber er braust vorbei. Wie fast alle.

    Es ist wieder still. Der Himmel ist weit; das weiche Abendlicht verspricht den Frieden der Nacht. Abendkühle kriecht die Straße entlang. In mir steigen Träume auf. Im Nachbardorf habe ich eine Schneiderin gesehen. Ihre Nähmaschine sieht aus wie ein äsender Kaffernbüffel. So eine Maschine will ich auch haben: Meine Füße treten das Pedal; der Maschinenkopf surrt und spuckt Kleider mit Blumenmustern aus. Alle wollen sie kaufen, ich weiß es. Ich werde eine Kleiderkönigin sein.

    Der Text entstand bei einem Einsatz in Sambia. Es ging darum, Selbsthilfegruppen mit Hilfe der Aktionsforschungsmethode zu mehr Eigenständigkeit zu befähigen. Zuerst wurden alle Herausforderungen auf Zettel geschrieben. Dann wurden sie nach Wichtigkeit angeordnet. Im ersten Aktionsplan hielten wir gemeinsam die dringlichsten Aktionen fest und planten, welche Schritte von wem durchgeführt werden sollten. Typische Schritte waren: Einen Kleinkredit besorgen, Ausbildung organisieren und Behörden besuchen, um Genehmigungen zu erhalten. Manchmal gehörte auch ein erster Hilfe-Kasten oder die Organisation von Schulbildung für die Kinder dazu.

    In der Regel funktionierte diese Methode sehr gut: Schritt für Schritt sah man gemeinsam, was bei der Abarbeitung des letzten Plans funktioniert hatte und was nicht. Nach langen Diskussionen wurde der nächste Aktionsplan erstellt. Das Ziel war es, dass die Selbsthilfegruppe immer stärker wird und sich externe Hilfsorganisationen mehr und mehr zurückziehen können.

    Bei den Stonecrushern stießen wir allerdings auf unsere Grenzen. Die Gruppe zerhackte Felsbrocken und bot das Baumaterial am Straßenrand an. Ich fragte nach Zukunftsträumen und erhielt die Antwort: „Nicht mehr Stonecrusher sein.“ Das darauffolgende Schweigen höre ich noch bis heute. Einer jungen Arbeiterin habe ich versucht, mit diesem Text eine Stimme zu verleihen.

  • To be someone

    Das Klacken eines Absatzes ist auf dem Gang zu hören. Pause. Ein weiteres Klacken. Pause. Die Türklinke senkt sich. Ein Stöckelschuh erscheint im Spalt; knarrend schwingt die Türe auf.

    „Bonjour“, meint Fatouma. Aber ihre Stimme klingt nicht nach einem guten Tag, sie klingt nach Unbehagen. Weil sie heute auf den Handwerkermarkt Katako muss. Die Wege dort sind unbefestigt und dreckig; der Gestank der offenen Kanalisation ist oft unerträglich.

    Fatouma ist Animateurin. In unserem Projekt soll sie Handwerkern bei der Lösung ihrer Probleme helfen. Indem sie motiviert, Denkanstöße gibt und Aktionspläne erarbeitet. Als sie Platz nimmt, sinken die Enden ihres drapierten Rocks langsam zu Boden. Ihre Hände umfassen die Handtasche. „DIOR“ steht in goldenen Lettern auf dem nigerianischen Plagiat.

    „Es läuft doch gar nicht so schlecht“, versuche ich ihr Mut zu machen. „Die Verkaufsboutique der Blechverarbeiter ist doch schon aufgebaut“.

    „Je sais – ich weiß“, meint Fatouma gelangweilt und zupft eine Haarsträhne zurecht.

    „Das ist doch super! Wir müssen jetzt nur noch die Qualität der Werkzeuge verbessern!“. Wie ein Verkäufer stehe ich auf und laufe vor Fatouma auf und ab. Drei Schritte nach links, drei nach rechts, mehr gibt unser stickiges Büro in der nigrischen Handwerkskammer nicht her.

    „Schon irgendeine Idee, wie wir das machen können?“ Erwartungsvoll schaue ich sie an.

    „Wir müssen ihnen sagen, dass sie ihr Geschick selbst in die Hand nehmen können“, leiert sie ihren auswendig gelernten Text herunter. „Sie müssen nur an sich glauben und beharrlich an Lösungen arbeiten“.

    Enttäuscht setze ich mich. Fatouma verkörpert für mich nicht das, was ich mir unter einer Animateurin vorstelle. Die Kleidung: Zu modisch für die Kooperation mit Handwerkern. Ihr Auftreten: Viel zu verhalten, um die gewünschte Dynamik zu entfachen.

    „Ich geh dann mal“, meint sie und hält ihre Handtasche wie ein Schutzschild vor sich. Ihre hochhackigen Schuhe klacken auf den Bodenkacheln.

    Eine Woche später hat Fatouma Malaria und ich mache einen Krankenbesuch. Weit draußen in Pays Bas wohnt sie. Wellblechdächer bedecken zusammengeschusterte Lehmbauten. Auf den Pisten stapelt sich Abfall; Plastiktüten haben sich in Dornenbüschen verfangen.

    In ihrem Zimmer liegen Matten auf gestampften Lehmboden. Ein kleiner Tisch, ein Regal – mehr Mobiliar gibt es nicht. Auf einer Matratze liegt Fatouma und lächelt matt. Das künstliche Haarteil liegt in einer Schale neben ihr. Ohne Schminke sieht sie älter aus.

    Sie erzählt, dass sie hier mit vier Freundinnen haust. Mehr könne sie sich nicht leisten, mehr sei einfach nicht drin. Ich weiß nicht wohin mit den mitgebrachten Blumen. Ich weiß nicht, was ich angesichts der Tristesse sagen soll.

    Im Auto suche ich nach Ablenkung und lege eine Kassette ein. Tracy Chapman singt von Träumen von einem besseren Leben. „To be someone, to be someone…”, scheppert es aus den Boxen, als ich mich dem Zentrum von Niamey nähere.